Borgentreich, St.Johannes Baptist


 
Borgentreich

St.Johannes Baptist, kath.

17. bis 18. Jahrh. Fam. Bader/Brüder Reinecke 
(Johann Jacob John?) IIIP/45


Die Kirche zu Borgentreich, erbaut 1836, war im 19.Jahrh. Vorbild für andere Sakralbauten und ist das Erstlingswerk der Neugotik in Westfalen.

Die Orgel wurde ursprünglich für die Klosterkirche der Augustiner in Dalheim erbaut und 1803 im Zuge der Säkularisierung nach Borgentreich verkauft.
Wegen der zu kleinen alten Kirche wurde sie mit angepasstem Gehäuse aufgestellt. Nach dem Kirchenneubau 1836 erfolgte die Neuaufstellung wieder mit verändertem Gehäuse und ohne das Rückpositiv, das nun als Hinterwerk vor der Turmwand stand. Bis 1950 fanden Reparaturen und einige Registerauswechslungen statt. Die außerordentliche Bedeutung des Instruments war schon damals bekannt. 1953 wurde eine Restaurierung abgeschlossen, bei der zwar richtigerweise das Rückpositiv an die alte Stelle kam, im Gesamtkonzept aber von nicht belegten Annahmen ausgegangen wurde. Der technische Zustand hatte sich dann in den 1990er Jahren sehr verschlechtert. Einfluss darauf hatten auch die  verwendeten Materialien von 1953.
Eine neue Restaurierung sollte unter Berücksichtigung des vorgefundenen, gewachsenen Bestands die Orgel in einen historisch nachweisbaren Zustand versetzen.
Zwischen
2004 und 2011 konnte dieses Ziel nach aufwändigen Forschungen und Arbeiten erreicht werden.

Mit der Wiedereinweihung am
14. Mai 2011
war das Projekt abgeschlossen. Weitere Einzelheiten dazu können in der sehr  informativen Schrift zur Einweihung nachgelesen werden.
 
Zur Chronik siehe unten.

 




  

I. Rückpositiv  CD-c3
(Springladen)
II. Hauptwerk  CD-c3
(Springladen)
III. Brustwerk  CD-c3
(Schleiflade)
Pedal  CD-c1
(Springladen)

Principal
Rohrflöte
Gedact
Dousflöte
Quinta
Naßartquinta
Octav
Waldflöte
Tertzian
Quinta
Mixtur 4fach
Cimbel 3fach
Fagott
Krummhorn
 

8
8
4
4
3
3
2
2
1 3/5
1 1/2


16
8
e/x
x
e/x
x
x/e
x
x
x
x/e
x/e
x/e
x
e
e
Bourdun
Principal
Viola di Gamba
Holflöte
Quinta
Octav
Spans Cornet
Sexquialter 3f
Mixtur 4fach
Cimbel 4fach
Trompet
Voxumana
16
8
8
8
6
4
B 4/D 3f



16
8
e/b1
b1/x
e/x
m
b1
b1
e/b1
b1/u
b1/u/e
u
e
e
Gedact
Quintatöna
Principal
Flautetraverse
Nachthorn
Octav
Quinta
Detzima 2fach
Mixtur 4fach
Ranquet
Hoboe

 

8
8
4
4
4
2
1 1/2


8
4
b2/m
b1
b2
b2
b2
b2
b2
b2
b2
e
e
Principal
Subbass
Octav
Waldflöte
Mixtur 6fach
Posaune
Trompet
Cornet
16
16
8
2

16
8
2
x
x
x
x/e
x
x
x/u
x/u/e
14

12

11

8
b1 = Fam.Bader frühes 17.Jahrhundert
b2 = Gottfried Bader 1677
x = wahrscheinlich Brüder Reinecke 1711 ( vorher Johann Jacob John zugeschrieben)
u = unbekannter Orgelbauer aus 2. Hälfte des 18.Jahrhunderts, vielleicht Johann Christoph Bornemann, Adorf
e = Eule 2011
Stimmung modifiziert mitteltönig, 1/6-Teilung des pythagoräischen Kommas mit 8 sehr guten Großterzen
Winddruck 64 mm, alte Tonhöhe mit 465,4 Hz bei 15 °C
Cimbelstern, Calcant-Anlage, Calcantenruf
Tremulant auf das ganze Werk
Keine Koppeln
 
Vor
1600 entstand in der Klosterkirche Dalheim ein Orgelneubau, wahrscheinlich einmanualig im Renaissance-Stil

Nach
1600 wird die Werkstatt Bader tätig. Dies ist durch typische Merkmale an erhaltenen Pfeifen zu erkennen.
Ebenso ist die Springlade des Hauptwerks dieser Zeit zuzuordnen.

Um 1657 Erweiterung durch wahrscheinlich Hans Henrich Bader, Unna.
Die Orgel erhielt ein Brustwerk (Positiff). Sie hatte nun 2 Manuale mit angehängtem Pedal und ca. 22 Register.

1676 Reparatur der Bälge durch Gottfried Bader.

Um 1711 Erweiterung durch wahrscheinlich im wesentlichen die Brüder Bernhard und Andreas Reinecke, Rhoden bzw. Einbeck,
vielleicht mit Vorarbeiten durch Johann Jacob John, der aber schon 1707 verstarb.
Sie barockisierten die Orgel und fügten ein Rückpositiv (14 Register) sowie ein selbständiges Pedal bzw.Pedaltürme (8 Register) hinzu.
Die Fassade wurde vor die Struktur der Renaissance gesetzt.

Um 1750 Arbeiten durch Johann Patroclus Möller, Lippstadt
Er baut in das Hauptwerk eine neue Holflöte 8 für die Quintatöna 8, die er ins Brustwerk setzt und für das er wahrscheinlich eine neue Schleiflade baut. Das hier schon vorhandene Gedackt 8 erweitert er in der tiefen Oktave um 11 Töne.
-> Wenn man bedenkt, dass die Orgel in Borgentreich bis in die 1990er Jahre noch als Möller-Orgel galt, so schrumpft aufgrund jüngster Forschung sein Anteil auf gerade 59 Pfeifen und evtl. die Windlade im Brustwerk !

Um 1780
Dispositionsänderung durch einen bisher unbekannten Orgelbauer ("Schulmeister"), vielleicht Johann Christoph Bornemann aus Adorf/Kreis Waldeck, ein Enkelschüler Reineckes.
Cimbel 4f neu unter Aufgabe der Octav 2. Mixtur jetzt 4f unter Einbeziehung der Octav 2. Im Pedal wird Trompete 4 in Trompete 8 und Cornet 2 eingearbeitet. Aufgabe der Quinte 6.

1785
Arbeiten durch Stephan Heeren, Gottsbüren
Nachgewiesen durch die Abrechnung vom September 1785


1803
Aufhebung des Klosters Dalheim. Der Bürgermeister der Stadt Borgentreich kauft die Orgel an.
Den Abbau in Dalheim und den Wiedereinbau in die Borgentreicher Pfarrkirche führt der Orgelbauer Arnold Isfording aus Dringenberg durch. Isfording war Schüler von Johann Patroclus Möller. Durch die zu kleine alte Kirche musste das Gehäuse in Breite und Höhe angepasst werden.
1831 Abbau der Orgel wegen Baufälligkeit der Kirche und Einlagerung im Turm

1836 - 1838
Wiedereinbau, zunächst durch den Isfording-Gesellen Ferdinand Figgemeyer, der während der Arbeiten jedoch verstarb. Restarbeiten durch Carl Kuhlmann aus Gottsbüren. Figgemeyer schrieb auch erstmals die Disposition auf, die allerdings nicht in allen Punkten korrekt ist. Das Gehäuse wurde in Höhe des Hauptwerks verbreitert. Das Rückpositivs wurde ganz entfernt und als Hinterwerk hinter die Orgel verlegt.

1872 Dispositionsänderung durch Carl August Randebrock, Paderborn
Neue Register in Hauptwerk: Cornett und Gedackt 4, im Hinterwerk: Geigenprincipal 8, Flauto traverso 8, Bordun 16 (zum Teil). Vielleicht wurden auch 2 Zungenstimmen im Brustwerk durch ein Salicional 8 ersetzt. Dies alles geschah unter Aufgabe alter Stimmen.

1924 Veränderungen durch Wilhelm Döhre, Warburg
Umhängen der Tontraktur zur Erzielung des "Normalkammertones", Einbau einer Barkermaschine zur Erleichterung der Spielart.
Wenn nicht schon 1872, dann spätestens jetzt neuer Salicional 8 im Brustwerk anstatt 2 Zungenstimmen.
Im Pedal Octav 4 neu statt Waldflöte 2, Clairon 4 teilweise neu statt Cornet 2.

1950 erstellte der Organologe Christhard Mahrenholz, Hannover, ein auch heute noch bedeutendes Gutachten.
Dieses wurde bei der Restaurierung 1953 jedoch nicht voll berücksichtigt. Unter Leitung und Beratung von Rudolf Reuter, Münster, wurde bis
1953 eine Restaurierung durch Paul Ott, Göttingen durchgeführt. Dabei wurde das Rückpositiv mit einem neuem Gehäuse wieder an den alten Platz gesetzt und die damals vermutete alte Disposition wiederhergestellt. Weil man eine Möller-Orgel unterstellte, bekam sie im Hauptwerk den typischen Principal 16. Weiter wurden die Pedaltürme um 30 cm vorgerückt, um den bogenförmigen Prospekt Möllers ansatzweise nachzuahmen. Die verwendeten Materialien der damaligen Zeit erwiesen sich im Lauf der Jahrzehnte nicht als sehr dauerhaft.
Die Orgel war seit den 1990er Jahren in einem schlechten baulichen Zustand. Ihr Klang war trotzdem noch unerwartet gut. Die Probleme sowie die Möglichkeiten einer Re-Restaurierung wurden auf einem
Symposium 1998 in Borgentreich beraten, aus dem ein Rahmenplan erarbeitet wurde. 2004 wurden die Arbeiten an die Firma Eule in Bautzen vergeben. Sie gliederten sich in 4 Bauabschnitte und dauerten bis 2011.
Durch die völlige Zerlegung und eine genaue Untersuchung am Gehäuse, sowie aufwändiger Bestandsaufnahme der Pfeifen mit Zuordnung durch Vergeiche anderer Orgeln, konnte ein Zustand geschaffen werden, der historisch weitestgehend gesichert ist. Einen unschätzbaren Wert hatte dabei die Erfassung und Vermessung, inklusive der Mensuren durch Orgelbaumeister August Späth und den Warburger Organisten Theodor Peine im August 1951, also vor der ersten Restaurierung.

Haupt- und Brustwerk bilden den Renaissance- und Frühbarockteil. Rückpositiv und Pedal sind die barocke Zutat durch John.
Die zeitliche Zuordnung ist aus der Disposition deutlich abzulesen.

Erhalten sind:
Fast das gesamte Gehäuse, die Springladen von Bader bzw. John, die Brustwerkslade von Möller, ca. 70 Prozent der historischen von insgesamt 3002 Pfeifen, letztere nur 11 aus Holz, sonst aus Blei.

Sie ist die größte historische Orgel in Westfalen und vermutlich auch größte Springladen-Orgel der Welt.
  
Weitere Informationen in der schon erwähnten Einweihungsschrift und auf der Homepage www.barockorgel-borgentreich.de

Gegenüber der Kirche befindet sich das Orgelmuseum.